Robert Finger, Jaap Sok , Emmanuel Ahovi , Sharmin Akter, Johan Bremmer, Silke Dachbrodt-Saaydeh, Carolien de Lauwere, Cordelia Kreft, Per Kudsk, Fatima Lambarraa-Lehnhardt, Chloe McCallum, Alfons Oude Lansink, Erwin Wauters, Niklas Möhring*
Europäische Länder haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um die Risiken von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren (Schneider et al., 2023; Finger, 2024). Um diese Ziele zu erreichen, müssen LandwirtInnen nachhaltige(re) Strategien für den Pflanzenschutz anwenden. Es ist hingegen noch unklar, wie dies am Besten gelingen kann.
In einem kürzlich erschienenen Artikel in Agricultural Systems (Finger et al., 2024) analysieren wir die Entscheidungsfindung von LandwirtInnen und entsprechende Politikinstrumente für nachhaltigen Pflanzenschutz. Wir fassen konzeptionelle Grundlagen und empirische Evidenz zusammen und erweitern diese. Daraus ergeben sich wichtige Implikationen für Forschung und Politik.
Was ist nachhaltiger Pflanzenschutz?
Es gibt verschiedene Ansätze und Konzepte , um den Einsatz und die Risiken von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, z. B. den integrierten Pflanzenschutz, den agrarökologischen Pflanzenschutz sowie biologische und pestizidfreie (aber nicht biologische) Produktionssysteme (Deguine et al., 2023; Finger und Möhring, 2024) (siehe Tabelle 1). Gemeinsames Ziel dieser Ansätze ist es, einen wirksamen Pflanzenschutz und eine hohe Produktivität in der Nahrungsmittelproduktion zu gewährleisten, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu verringern und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Landwirtschaft zu sichern. Erreicht wird dies vor allem durch eine Kombination von Massnahmen wie Vorbeugung, biologische Bekämpfung, agronomische Lösungen (z. B. angepasste Fruchtfolgen, Feldhygiene), technische Lösungen (z. B. mechanische Unkrautbekämpfung, Smart Farming) und den Einsatz resistenter und angepasster Sorten (Möhring et al., 2020). Diese Konzepte können daher (allein oder in Kombination) zur Erreichung politischer Ziele dienen.Unsere Analyse zeigt jedoch, dass Kombinationen und Bündelungen von Einzelmassnahmen derzeit bei der Gestaltung von politischen Instrumenten und Analysen nicht genügend berücksichtigt werden.
Tabelle 1. Überblick über nachhaltige Pflanzenschutzansätze und -systeme.
Bessere Indikatoren für die Bewertung der Anwendung von nachhaltigem Pflanzenschutz
Eine zentrale Herausforderung beim nachhaltigen Pflanzenschutz ist die Definition der Umsetzung. Derzeit konzentrieren sich die meisten Politikanalysen auf die Umsetzung bestimmter Massnahmen auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Für den tatsächlichen Effekt von politischen Interventionen sind jedoch Indikatoren der Risikominderung relevanter. Zwei wichtige Arten sind 1) risikobasierte Gewichtungen für Wirkstoffe wie der Pesticide Load Indikator (Kudsk et al., 2018) und 2) kontextspezifische Risikomodelle wie der Risk Score (Tang et al., 2021) und der SYNOPS Indikator (Strassemeyer et al., 2017).
Ideal wäre es, die Auswirkungen von Entscheidungen im Pflanzenschutz auf Einträge in die Umwelt, Biodiversität und Gesundheit zu messen und zu ergebnis- und wirkungsbasierten Indikatoren überzugehen. Eine solche Verlagerung würde die politische Analyse der Wirksamkeit von Massnahmen verbessern, indem sowohl die Umsetzung von Massnahmen als auch die Auswirkungen berücksichtigt und Indikatoren für die Verringerung des mit Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risikos bevorzugt würden. Auch könnte dies zum Einsatz von (zielgerichteten) Massnahmen führen, die besser von Landwirten und Landwirtinnen akzeptiert werden.
Bessere Berücksichtigung des Verhaltens von LandwirtInnen in Forschung und Politik
Ein wichtiger Einstiegspunkt ist weiterhin das Verhalten bezüglich des Einsatzes von Pflanzenschutzstrategien besser zu verstehen und Massnahmen entsprechend anzupassen. Unsere Analyse zeigt, dass verschiedene Verhaltensfaktoren die Einführung nachhaltiger Praktiken im Pflanzenschutz beeinflussen. Dazu zählen unter anderem ökonomische Präferenzen (z.B. Zeit- und Risikopräferenzen), Motivationen, Heuristiken, kognitive Verzerrungen, soziales Kapital, Kultur, persönliche Fähigkeiten und weitere individuelle Merkmale. Diese Faktoren sind entscheidend, wurden aber in der Analyse nachhaltiger Pflanzenproduktion und -politik noch nicht ausreichend untersucht.
Abbildung 1 zeigt den konzeptionellen Rahmen für die Entscheidungsfindung von LandwirtInnen bezüglich des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Die Einflussfaktoren lassen sich gliedern in technische und wirtschaftliche Merkmale der Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln, politische und marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie individuelle Verhaltensfaktoren der LandwirtInnen. Zwischen diesen Kategorien bestehen wechselseitige Abhängigkeiten. Beispielsweise sind die Risikopräferenzen der LandwirtInnen relevanter, wenn nachhaltige Praktiken mit höheren Risiken verbunden sind. Gleichzeitig hängt die erforderliche Entschädigung, um einen Anreiz für die Einführung dieser Praktiken zu schaffen, von deren Kosten ab.
Abbildung 1. Ein Konzept für die Umsetzung von nachhaltigem Pflanzenschutz durch LandwirtInnen.
Verbesserte Methoden zur Analyse der Umsetzung von nachhaltigem Pflanzenschutz
Abschliessend zeigen wir methodische Implikationen für die Forschung auf, welche zu besserer Forschung für zur Unterstützung von landwirtschaftlichem Sektor und Politik führen kann. Dabei legen wir den Schwerpunkt auf die Akzeptanz von nachhaltigem Pflanzenschutz seitens der LandwirtInnen sowie auf die Auswirkungen und Bewertungen von Politikmassnahmen (Abbildung 2). Die derzeitigen Methoden zur Analyse von politischen Instrumenten lassen oft wichtige Aspekte wie etwas verhaltensökonomische Faktoren ausser acht. Diese sind in Datenbanken wie dem Farm Accountancy Data Network oder in Umfragedaten nicht gut dokumentiert. Darüber hinaus fehlen Indikatoren für nachhaltigen Pflanzenschutz – bis auf vereinzelte Ausnahmen wie z.B. Dueri und Mack, 2024 – häufig in Betriebs- und Sektor-Modellen.
Abbildung 2. Methodische Ansätze zur Bewertung des nachhaltigen Pflanzenschutzes im Politikzyklus.
Implikationen für die Politik
Aus unserer Analyse ergeben sich mehrere Implikationen für Pflanzenschutzpolitik. Erstens sollte sich die Politik auf die Auswirkungen von nachhaltige(re)m Pflanzenschutz auf Umwelt und Gesundheit konzentrieren statt lediglich die Umsetzung von Massnahmen zu bewerten. Zweitens sollte die Politik verhaltensökonomische Faktoren berücksichtigen, welche die Entscheidungen der LandwirtInnen beeinflussen. Beispielsweise kann die Politik Instrumente bereitstellen, um die mit nachhaltigen Praktiken verbundenen Risiken zu mindern und die soziale Interaktion zwischen LandwirtInnen zu fördern. Das kann helfen, die Akzeptanz von nachhaltigem Pflanzenschutz zu erhöhen. Die Berücksichtigung von Verhaltensfaktoren kann zudem den Einsatz von Instrumente wie „Nudges“ im politischen Instrumentarium erleichtern. Drittens sind verbesserte Modelle und Datenbanken sowie detaillierte Daten über Pflanzenschutz und Pflanzenschutzmitteleinsatz für eine evidenzbasierte Politikgestaltung und ein besseres Monitoring der Ergebnisse erforderlich.
Studie (open access):
Finger, R., Sok, J., Ahovi, E., Akter, S., Bremmer, J., Dachbrodt-Saaydeh, S., de Lauwere, C. Kreft, C., Kudsk, P., Lambarraa-Lehnhardt, F., McCallum, C., Oude Lansink, A., Wauters, E., Möhring, N. (2024). Towards sustainable crop protection in agriculture: A framework for research and policy. Agricultural Systems, 219, 104037 https://doi.org/10.1016/j.agsy.2024.104037
Dieser Blog Post wurde zuerst auf dem Agrarpolitik-Blog (am 25.07.2024) veröffentlicht: https://agrarpolitik-blog.com/2024/07/25/nachhaltiger-pflanzenschutz-in-der-landwirtschaft-grundlagen-fur-politik-und-forschung/
Referenzen
Deguine, J. P., Aubertot, J. N., Bellon, S., Côte, F., Lauri, P. E., Lescourret, F., … & Lamichhane, J. R. (2023). Agroecological crop protection for sustainable agriculture. Advances in agronomy, 178, 1-59.
Dueri, S., & Mack, G. (2024). Modeling the implications of policy reforms on pesticide risk for Switzerland. Science of the Total Environment, 928, 172436.
Finger, R. (2024). Europe’s ambitious pesticide policy and its impact on agriculture and food systems. Agricultural Economics, 55(2), 265-269.
Finger, R., & Möhring, N. (2024). The emergence of pesticide-free crop production systems in Europe. Nature Plants, 10(3), 360-366.
Finger, R., Sok, J., Ahovi, E., Akter, S., Bremmer, J., Dachbrodt-Saaydeh, S., de Lauwere, C. Kreft, C., Kudsk, P., Lambarraa-Lehnhardt, F., McCallum, C., Oude Lansink, A., Wauters, E., Möhring, N. (2024). Towards sustainable crop protection in agriculture: A framework for research and policy. Agricultural Systems, 219, 104037 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0308521X24001872?via%3Dihub#ac0005
Kudsk, P., Jørgensen, L. N., & Ørum, J. E. (2018). Pesticide Load—A new Danish pesticide risk indicator with multiple applications. Land Use Policy, 70, 384-393.
Schneider, K., Barreiro-Hurle, J., & Rodriguez-Cerezo, E. (2023). Pesticide reduction amidst food and feed security concerns in Europe. Nature Food, 4(9), 746-750.
Strassemeyer, J., Daehmlow, D., Dominic, A. R., Lorenz, S., & Golla, B. A. R. N. (2017). SYNOPS-WEB, an online tool for environmental risk assessment to evaluate pesticide strategies on field level. Crop protection, 97, 28-44.
Tang, F. H., Lenzen, M., McBratney, A., & Maggi, F. (2021). Risk of pesticide pollution at the global scale. Nature geoscience, 14(4), 206-210.
Autoren:
Robert Finger a, Jaap Sok b, Emmanuel Ahovi b, Sharmin Akter a i, Johan Bremmer j, Silke Dachbrodt-Saaydeh c, Carolien de Lauwere j, Cordelia Kreft a, Per Kudsk d, Fatima Lambarraa-Lehnhardt e, Chloe McCallum a f, Alfons Oude Lansink b, Erwin Wauters g, Niklas Möhring h
Kontakt: rofinger@ethz.ch
aETH Zürich, Agricultural Economics and Policy Group, Zürich, Switzerland, bBusiness Economics Group, Wageningen University and Research, Wageningen, the Netherlands, cJulius Kühn-Institut, Kleinmachnow, Germany, dAarhus University, Slagelse, Denmark, eLeibniz-Centre for Agricultural Landscape Research (ZALF), Germany & University of Göttingen, Department of Agricultural Economics and Rural Development, Göttingen, Germany, fQueens University Belfast, United Kingdom, gInstitute for Agricultural and Fisheries Research (ILVO), Social Sciences Unit, Merelbeke, Belgium, h Production Economics Group, University of Bonn, Bonn, Germany, iDepartment of Agricultural Statistics, Sylhet Agricultural University, Bangladesh, jWageningen Economic Research, Transition Risk and Innovation Governance, Wageningen, the Netherlands.
This research was carried out as part of the project SUPPORT Supporting Uptake Integrated Pest Management and Low-Risk Pesticide Use, funded by the European Union’s (EU) Horizon Europe research and innovation programme under Grant Agreement No. 101084527), https://he-support.eu/. The content of this article does not represent the official position of the European Union. The information and views expressed are the sole responsibility of the authors.