Europa braucht eine bessere Pflanzenschutzmittelpolitik, um die Auswirkungen auf die Biodiversität zu verringern

Robert Finger, Kevin Schneider, Jeroen Candel, Niklas Möhring* 

Das derzeitige Ausmass des Pflanzenschutzmitteleinsatzes hat weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt und kann die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. Derzeitige Folgenabschätzungen und Politikanalysen konzentrieren sich oft auf Effekte auf die Nahrungsmittelproduktion und ihre Wirtschaftlichkeit, aber weniger auf Effekte auf die Biodiversität, auch wenn diese, gerade mittel- und langfristig erheblichen Einfluss auf die Produktivität von Agrarsystemen haben könnte. In einem in der Zeitschrift Food Policy veröffentlichten Policy Comment (Finger et al. 2024) haben wir die politische Relevanz und Notwendigkeit aufgezeigt, zudem Effekte auf die Biodiversität zu berücksichtigen. 

So gibt es immer mehr Belege dafür, dass der heutige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der europäischen Landwirtschaft erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität, d.h. Nichtzielorganismen, und damit die biologische Vielfalt hat: Zu den neuesten Artikeln, die weitere kritische Belege zu den externen Effekten von Pflanzenschutzmitteln liefern, gehören Nicholson et al. (2023). Die Studie fand, dass Hummelpopulationen in ganz Europa schädlichen Pflanzenschutzmittelbelastungen ausgesetzt sind. Rigal et al. (2023) zeigen,  dass die Intensivierung der Landwirtschaft und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zum Rückgang der Vogelpopulationen in Europa beiträgt. Darüber hinaus zeigen Beaumelle et al. (2023), dass die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln in Europa insgesamt zu einem Rückgang der Häufigkeit und Vielfalt von Bodenfauna geführt hat. Die vielfältigen Stressfaktoren für Nahrungsnetze führen dabei zu einem Kaskadeneffekt mit potenziell negativen Folgen für die Ernährungssicherheit (Tscharntke et al. 2012). Negative Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die funktionale Biodiversität, die für verschiedene produktionsrelevante Ökosystemleistungen (z.B. Bestäubung, Schädlingsbekämpfung, Nährstoffkreislauf) entscheidend ist. Dieser Effekt ist nicht auf letale Dosen beschränkt, sondern ergibt sich auch aus einer kontinuierlichen Belastung unter subletalen Konzentrationen (Tosi et al. 2022). Unter anderem können negative Auswirkungen auf Bodenorganismen zu einem verminderten Potenzial für die Aufnahme von Nährstoffen führen (z.B. Edlinger et al., 2022), was wiederum Eingriffe in der Form einer erhöhten Düngung benötigt, welche wiederum mit zusätzlichen potenziellen externen Effekten einhergeht.

Diese jüngsten Erkenntnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass die derzeitige Politik nicht in der Lage ist, Nichtzielorganismen und Ökosysteme zu schützen (Schneider et al., 2023). Ein kürzlich vorgelegter Vorschlag für den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Europäischen Union stiess jedoch auf erheblichen politischen Widerstand (Candel et al. 2023), insbesondere aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Ernährungsmittelsicherheit und der möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen (Schneider et al. 2023). Diese Bedenken führten dazu, dass  der Vorschlag im Dezember 2023 vom Europäischen Parlament abgelehnt und im Februar 2024 von der Europäischen Kommission zurückgezogen wurde. Es scheint daher eine Diskrepanz zwischen wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über die externen Effekte vom Pflanzenschutzmitteleinsatz und deren Berücksichtigung in politischen Entscheidungen zu bestehen. Um diese Erkenntnisse besser in den politischen Prozess integrieren zu können, müssen die möglichen negativen Auswirkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes (z.B. auf die Biodiversität) auf die mittel- bis langfristige Nahrungsmittelproduktion und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit und Produktivität der Landwirtschaft quantifiziert werden. Dazu werden neue wissenschaftliche Ansätze benötigt, z.B. zur Quantifizierung von Risiken und externen Kosten. Derzeit fehlen jedoch Methoden und Daten für solche Beurteilungen (Candel 2022, Mesnage et al., 2021). Neue analytische Ansätze sind daher dringend erforderlich, auch um die Auswirkungen auf die Biodiversität über den Naturschutz hinaus zu verdeutlichen. Dies würde zudem veranschaulichen, dass ein Nichthandeln gegen den Biodiversitätsverlust erhebliche Kosten für die Nahrungsmittelproduktion und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Landwirtschaft mit sich bringen könnte (Schneider et al. 2023).

Um die Ziele des europäischen Green Deal und des Kunming-Montreal Post-2020 Global Biodiversity Framework zu erreichen (Schneider et al. 2023), ist ein ganzheitlicher Ansatz in der Pflanzenschutzmittelpolitik erforderlich, der verschiedene gesellschaftliche Ziele miteinander verbindet und deren Zielkonflikte mit der Ernährungssicherheit und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe reduziert. Ein wirksamer Ansatz zur Verringerung der Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Nichtzielorganismen und Ökosysteme muss über das Verbot einzelner Wirkstoffe hinausgehen. Stattdessen ist eine ganzheitliche Umgestaltung landwirtschaftlicher Systeme und Praktiken erforderlich, einschliesslich der grossflächigen Substitution schädlicher Pflanzenschutzmittel durch nachhaltigere Pflanzenschutzmassnahmen. 

Dies erfordert eine grundlegende Umgestaltung der landwirtschaftlichen Systeme: i) zur Verringerung des Schädlings- und Krankheitsdrucks, z. B. durch Diversifizierung der Agrarlandschaften, und ii) zur Schaffung wirtschaftlicher Bedingungen, die die Landwirte bei der grossflächigen Einführung von Alternativen zum Pflanzenschutzmitteleinsatz unterstützen. Dazu ist ein Mix aus öffentlichen und privaten politischen Massnahmen erforderlich: Verstärkte Investitionen in die Forschung und Entwicklung wirksamer und effizienter Alternativen zum Pflanzenschutz müssen mit legislativen Ansätzen kombiniert werden, die eine Besteuerung von Pflanzenschutzmitteln und eine gezielte Unterstützung für Landwirte, die Strategien anwenden welche mit reduzierten Mengen- oder ganz ohne Pflanzenschutzmittel auskommen, , umfassen können (Möhring et al. 2020). Die Ergebnisse von Nicholson et al. (2023), Rigal et al. (2023) und anderen unterstreichen die Dringlichkeit, jetzt greifbare und wirksame politische Massnahmen umzusetzen.

Studie: Finger, R., Schneider, K., Candel, J., Möhring, N. (2024). Europe needs better pesticide policies to reduce impacts on biodiversity. Food Policy 125: 102632 https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2024.102632

*Autoren:Robert Finger (ETH Zürich), Kevin Schneider (Joint Research Centre, European Commission), Jeroen Candel (Wageningen University), Niklas Möhring (University of Bonn). 

Die geäusserten Ansichten sind ausschließlich die der Autoren und dürfen keinesfalls als offizielle Position der Europäischen Kommission angesehen werden.

Dieser Blogbeitrag ist zuerst auf dem Agrarpoloitikblog erschienen (18.04.2024): https://agrarpolitik-blog.com/2024/04/18/europa-braucht-eine-bessere-pflanzenschutzmittelpolitik-um-die-auswirkungen-auf-die-biodiversitat-zu-verringern/

Referenzen

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 Candel, J. (2022). EU food-system transition requires innovative policy analysis methods. Nature Food, 3(5), 296-298. 

Candel, J., Pe’er, G., & Finger, R. (2023). Science calls for ambitious European pesticide policies. Nature Food, 4(4), 272-272. 

Chagnon, M., Kreutzweiser, D., Mitchell, E. A., Morrissey, C. A., Noome, D. A., & Van der Sluijs, J. P. (2015). Risks of large-scale use of systemic insecticides to ecosystem functioning and services. Environmental science and pollution research, 22, 119-134.

Edlinger, A., Garland, G., Hartman, K., Banerjee, S., Degrune, F., García-Palacios, P., … & van der Heijden, M. G. (2022). Agricultural management and pesticide use reduce the functioning of beneficial plant symbionts. Nature ecology & evolution, 6(8), 1145-1154.

Finger, R., Schneider, K., Candel, J., Möhring, N. (2024). Europe needs better pesticide policies to reduce impacts on biodiversity. Food Policy 125: 102632 https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2024.102632

Mesnage, R., Straw, E. A., Antoniou, M. N., Benbrook, C., Brown, M. J., Chauzat, M. P., … & Zioga, E. (2021). Improving pesticide-use data for the EU. Nature ecology & evolution, 5(12), 1560-1560.

Möhring, N., Ingold, K., Kudsk, P., Martin-Laurent, F., Niggli, U., Siegrist, M., … & Finger, R. (2020). Pathways for advancing pesticide policies. Nature food, 1(9), 535-540.https://www.nature.com/articles/s43016-020-00141-4

Nicholson, C.C., Knapp, J., Kiljanek, T. et al. Pesticide use negatively affects bumble bees across European landscapes. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06773-3

Rigal, S., Dakos, V., Alonso, H., Auniņš, A., Benkő, Z., Brotons, L., … & Devictor, V. (2023). Farmland practices are driving bird population decline across Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences, 120(21), e2216573120.

Schneider, K., Barreiro-Hurle, J., & Rodriguez-Cerezo, E. (2023). Pesticide reduction amidst food and feed security concerns in Europe. Nature Food, 4(9), 746-750.

Tosi, S., Sfeir, C., Carnesecchi, E., & Chauzat, M. P. (2022). Lethal, sublethal, and combined effects of pesticides on bees: A meta-analysis and new risk assessment tools. Science of The Total Environment, 844, 156857.

 Tscharntke, T., Clough, Y., Wanger, T. C., Jackson, L., Motzke, I., Perfecto, I., … & Whitbread, A. (2012). Global food security, biodiversity conservation and the future of agricultural intensification. Biological conservation, 151(1), 53-59.

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